Die Kirchen wollen auf den Mitgliederschwund mit einer Reform antworten. Denn immer weniger zahlende Gläubige bedeuten, dass die Kirchen bis 2060 die Hälfte ihres Budgets verlieren könnten. Das würde den Personalmangel verschärfen und auch Leistungskürzungen nach sich ziehen, die sich auf Bereiche wie Kitas, Seelsorge und Gemeindeleben auswirken würden.
Die Erzdiözese Freiburg nennt das: Strukturwandel für die Zukunft. Laut Domradio heißt das, dass künftig 36 Großpfarreien die 224 Seelsorgeeinheiten ersetzen. Mit jeweils nur noch einer Pfarrei als Dach über allen kirchlichen Aktivitäten. Inwieweit der Strukturwandel in Gesamtdeutschland vollzogen wird, ist noch nicht ganz klar. Denn in anderen Diözesen regt sich teilweise heftiger Widerstand – wie z.B. im Bistum Trier oder auch im Erzbistum Köln – gegen die Raumaufteilung nach dem Vorbild Freiburgs. Das baden-württembergische Nachbarbistum Rottenburg-Stuttgart verfolgt derzeit sogar einen eigenen Weg und verzichtet vorerst auf Zusammenlegungen.
Das bedeutet das Freiburger Modell für Gemeindemitglieder und kirchliches Leben
👉 Die Leitung der Großpfarreien obläge dann einem leitenden Pfarrer, der Aufgaben und Verantwortlichkeiten delegierte.
👉Auf der Ebene der heutigen Pfarreien und Seelsorgeeinheiten würden nach dem Willen der Kirchenleitung neue Führungskonzepte entstehen, mit dem Wunsch der Unterstützung von zahlreichen Ehrenamtlichen. „Gemeindeteams“ sollten das kirchliche Leben in jeder Pfarrei vor Ort tragen.
👉Geschäftsführungen würden in Verwaltungs- und Finanzfragen entlasten. Denn in jeder neuen Pfarrei übernähme eine hauptamtliche Geschäftsführung die Finanzverwaltung. Dieser Geschäftsführer wäre dann dem leitenden Pfarrer und einem neuen, mit Finanzexperten besetzten Aufsichtsrat rechenschaftspflichtig.
Bedeutet das also, dass nur Gemeinden mit einer großen Mitgliederzahl oder vielen Ehrenamtlichen ihr kirchliches Leben aufrechterhalten können? Die Zeit wird es zeigen.
Kirche ist mehr
Die Kirchengemeinden und Bistümer unterstützen auch soziale Institutionen wie Kitas oder Ersatzschulen mit ihren Ressourcen. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, befürchtet, dass durch gekürzte Kirchendienstleistungen auch Betreuungsangebote wegfallen, die von staatlicher Hand nicht ersetzt werden können: „Kirchen sind immer noch ein Klebemittel für den sozialen Zusammenhalt.“
Die Bedeutung dieser sozialen Zusammengehörigkeit wurde mir an einem Sonntag im Juli 2023 klar, als ich in Freiburg am Festgottesdienst zum Kirchenjubiläum des Namenspatrons Cyriak teilnahm. Die Kirche war nur mit einem Bruchteil der 11.000 Gemeindemitglieder gefüllt. Pfarrer Joachim Koffler verglich in seiner Predigt das marode Kirchendach mit dem fehlenden Schutzdach der Kirche und der sich auflösenden Gemeinschaft. Er bemerkte treffend: „In der Kirche bröckelt es – oben und unten.“ So wie ein Dach Schutz und Stabilität bieten sollte, sollte unsere kirchliche Gemeinschaft uns mit einem Gefühl der Sicherheit umgeben, ohne übermäßige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder auf einen bevorstehenden Zusammenbruch hinzuweisen. Es überrasche nicht, dass Menschen gingen, wenn sich die Atmosphäre unter diesem Dach nicht mehr behaglich anfühle.
Jede und jeder kann Hoffnung säen
Auf meinem eigenen Glaubensweg wurde ich von glücklichen Zufällen begleitet – inspirierende Menschen und Vorbilder, die mich unterstützten. Der unvergessliche Weltjugendtag 2005 in Köln war nicht nur mein persönlicher Höhepunkt, sondern berührte auch zahlreiche andere Menschen. Junge Gläubige aus verschiedenen Teilen der Welt strömten zusammen, um gemeinsam zu feiern, sich auszutauschen und Vorurteile abzubauen. Eine lebendige Gemeinde kann sowohl als Anker und Inspirationsquelle dienen, als auch als Zuhause, unterstützender Rückhalt und Ort des gemeinsamen Feierns und Teilens fungieren. Sollten wir diese Werte nicht an die nächsten Generationen weitergeben?
In diesem Zusammenhang bietet das Evangelium eine kraftvolle Metapher: das Samenkorn, das aus der Hand des Sämanns auf die Erde bröselt. Und nicht zerbröselt. Es handelt sich daher um ein Bröseln der Hoffnung, nicht der Frustration. Es ist entscheidend, dass wir uns nicht ausschließlich auf das konzentrieren, was verfällt, verschwindet oder vergessen wird, sondern auch darauf, was noch gesät wird. Auch wenn es beim Säen keine Garantie für Erfolg gibt, ist Wachstum ohne Säen unmöglich.
Wir sind in der Lage die bevorstehende Herausforderung anzunehmen und zu erkennen, dass wir durch die Pflege unserer Solidarität und Gemeinschaftssinn die Samen der Hoffnung säen, die letztlich eine reiche Ernte hervorbringen wird. Zwar mag diese Ernte nicht sofort erfolgen, aber die gesäte Saat wird aufgehen, und die reichen Ernten werden von den nachfolgenden Generationen eingefahren werden.
Das können Familienunternehmen aus den Entwicklungen der Kirche lernen
Das Unternehmen Kirche geht voran, stellt sich der Herausforderung und strebt eine Lösung für den schnellen Wandel an. Doch ist sie auch die Antwort auf das wachsende Bedürfnis nach Gemeinschaft und gelebten Werten?
Ganz gleich, wie kirchennah oder kirchenfern man nun ist: Diese Frage sollten sich auch Unternehmen stellen. Denn in Zeiten wachsender Unsicherheiten müssen sie ihren Mitarbeitenden mehr als nur einen „Job“ bieten. Die Idee der Wertegemeinschaft könnte auch bei ihnen eine wichtige Rolle spielen.
In diesem Sinne lassen sich weitere Parallelen zur Rolle der Vorstände, Aufsichtsräte und Beiräte von Familienunternehmen ziehen. Ihre Positionen sind von entscheidender Bedeutung für die Gestaltung der Unternehmenskultur und langfristigen Ausrichtung.
Ähnlich wie in der Kirche sollten sie als Vorbilder und Botschafter fungieren, um Werte wie Solidarität, Gemeinschaft und Nachhaltigkeit zu fördern. In diesem Kontext können Instrumente wie eine Familiencharta oder Wertedefinitionen von zentraler Bedeutung sein. Denn sie legen die Grundlage für eine gemeinsame Vision, die sämtliche Ebenen des Unternehmens durchdringt und somit eine starke und gemeinschaftsbasierte Unternehmenskultur fördert. Es sind die Samen, die langfristig zu einer reichen Ernte an Engagement, Innovation und Gemeinschaft beitragen werden. Und sie sollten jetzt gesät werden.
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